Alpstein2017_09

Dufte Wanderungen und dufte(nde) Quartiere

Spannende Gipfel im Alpstein

Freitags um 09:00 trifft uns Friedbert mit einem 8-Sitzer Kleinbus mit Rollstuhllift, den er extra bei teilauto Tübingen angemietet hatte. Der Rollstuhllift kommt allerdings trotz des erhöhten Durchschnittsalters der Gruppe glücklicherweise nicht zur Anwendung. Drei Stunden später parken wir das Fahrzeug bei Nieselregen in Urnäsch, mitten im Appenzeller Land, von wo es mit der museal anmutenden Eisenbahn weiter geht nach Schwende, dem Startpunkt unserer Wanderung.

Der Nieselregen hat aufgehört, so dass das Regenzeug nicht zum Einsatz kommt. Berge in Wolken, so auch die 1660m hohe Zahme Gocht, die wir nun ansteuern. Kalt ist es nicht, dafür feucht, so gestalten sich die 830m Aufstieg als schweißtreibender Auftakt des verlängerten Wochenendes. Der Weg im regennassen Gras ist ideale Teststrecke für so manches angeblich wasserdichte Schuhpaar. Kaum ein Wanderer begegnet uns. Die letzten Höhenmeter erklimmen wir auf einem steilen, aber gut gesichertem Steig im Bärstein, von dort sind es nur noch Minuten über Almwiesen hinab zu unserer ersten Unterkunft, der Alp Sigel, hoch über dem Sämtiser See.

Dort werden wir außerordentlich freundlich empfangen, und mit typisch Appenzeller Getränken und Abendessen in einer gemütlichen Gaststube versorgt. Die Mehrheit unserer Gruppe wird in einem 200m entfernten Gebäude einquartiert, das von Schlamm und feuchtem Kuhdung (!) umgeben ist, den man auch für den Weg zum Plumpsklo durchwaten muss. Hier sind Gummistiefel unbedingt geboten – die aber niemand dabei hat.  Das Quartier: uriges Matrazenlager in uralter Scheune, kein Wasser, kein Strom, kein Licht. Dafür kostet die HP hier auch nur sFr 37 p.P., etwa die Hälfte von dem was in einer Schweizer Berghütte zu zahlen wäre.

Die Stimmung am nächsten Morgen ist aufgrund des ungewohnt einfachen Komforts noch etwas gebremst, hellt sich aber beim Blick auf das nun gute Wetter auf. Es geht weglos über Almwiesen wieder hinauf zur Zahmen Gocht, von wo man herrliche Blicke ins Appenzeller Land, aus dem wir gestern kamen, genießen kann.

Nach kurzem Weglos-Training reihen wir uns ein, in die Schar der Wanderer, die inzwischen mit mechanischer Aufstiegshilfe angekommen sind und westwärts streben, genau wie wir. An der schlammigen Mans Alm vorbei geht es schweißtreibend hinauf zur Bogartenlücke, wo wir uns auf schmalem Sattel den knappen Platz mit anderen Wandergruppen teilen, die ebenfalls die phantastische Aussicht genießen möchten.  Die Pfadspur des nun folgenden sehr steilen Aufstiegs durch Gras hinauf Richtung Marwees würde man von hier kaum erkennen, wäre sie nicht durch eine Perlenkette von Wanderern bunt markiert, die sich dort hinaufmühen. So auch wir wenige Minuten später in feuchtwarmer Mittagshitze.

Vom Grat des Marwees genießen wir beeindruckende Tiefblicke in das Schwendibachtal mit seinen hoffnungslos überfüllten Parkplätzen, und natürlich hinüber zu den wilden Felswänden des Bergrückens, der im Westen zum Säntis kulminiert.

Wir pausieren auf dem knapp 2000m hohen Marwees, für einige von uns tatsächlich der Höhepunkt des Tages, denn es bahnt sich an, dass sich nicht alle den Aufstieg zum noch höheren Hundstein (2157m) zutrauen, zumal dieser „nicht einfach“ ist. Die vier Hundstein-Bezwinger berichten später von luftiger Kletterei auf schmalen ausgestzten Simsen, den Rucksack auf allen Vieren vor sich herschiebend, mit anschließendem 700m steilem „Knieschnackler“ (im Schweizerischen „Knieschnapper“) Abstieg zur Bollenweeshütte.

Die längst nicht so ambitionierte „Seniorengruppe“ folgt derweil dem Komfortweg vom Widderalpsattel hinab, um kurze Zeit später den Verlockungen der Widderalp zu erliegen: Sonne, gekühlte Getränke – aber nicht zu lange, denn es wäre peinlich gewesen, von der Hundstein-Gruppe überholt zu werden.

Auf der sehr gut besuchten und für noch weit größere Massen dimensionierten Bollenwees Hütte findet die Gruppe gegen 17:00 wieder zusammen, in unterschiedlich fittem Zustand. So manche(r) ist „bedient“ und kühlt sich erstmal badend im äußerst idyllisch gelegenen kalten Fälensee.

Nach wahnsinnig teurem Getränkekonsum geht es zusammen weiter am See entlang zur Fälenalp, wo Kühe, Pferde, Schweine, Hunde, und viele Kinder sich am Fuße von gigantischen Felswänden zu einer Postkartenidylle vereinen.

Friedbert hatte nicht zu viel versprochen, als er diese Alpe als „noch etwas origineller“ ankündigte. Das Lager befindet sich auf der ehemaligen Heu-Tenne direkt über dem Kuhstall, mit dem man auch das Raumklima teilt. Der Weg zum Plumpsklo führt zwischen Kuhfladen hindurch zum nächsten Gebäude, was bei der Wahl des passenden Schuhwerks für nächtliche Spaziergänge zu beachten ist. Allerdings sind die Kühe nachts „auf Tour“ und kommen erst im Morgengrauen zum Melken nach Haus – ein Teenagerleben. Statt aufdringlich piepsender Smartphones weckt uns morgens der sonore Klang der Kuhglocken – zwei Meter unter uns.

Der nächste Morgen empfängt uns mit strahlend blauem Himmel. Es werden verschiedene Varianten der ursprünglich vorgesehenen Tour diskutiert. Denn eigentlich soll es heute „richtig zur Sache“ gehen, über den Altmannsattel zum Nädliger-Grat, danach 1300m hinab ins Tal. Das Wetter erscheint dafür ideal, aber sowohl die „Seniorentruppe“ als auch mancher von gestriger Gipfeltour etwas „abgenutzter“ Teilnehmer äußert andere, weniger anspruchsvolle, Präferenzen. So entscheiden wir uns schließlich gemeinsam für die einfachste Variante über den Zwinglipass. Der ist schnell erreicht, der Himmel ist dank Einströmen trockener Luft nun noch blauer, wir sehen Enzian und andere Alpenflora, Karren, Karstspalten.

Minuten später genießen wir den Ausblick von der Terrasse der im Umbau befindlichen Zwinglipasshütte übers Toggenburg zur beeindruckenden Bergkette der Churfirsten. Hier kann man’s aushalten, die Hütte empfiehlt sich als Quartier für zukünftige Touren, das Preisniveau für Schweizer Verhältnisse moderat. Nochmals wird diskutiert, ob nicht vielleicht eine Teilgruppe über den Lisengrat direkt zum Säntis geht, aber letztendlich bleiben wir zusammen und steigen auf bequemen Weg hinab ins Tesel – Hochtal, wo schon die nächste Alpe lockt. Hier ist bedeutend weniger los, die Alpe sehr nett. Temperatur und Luftfeuchtigkeit steigen, nur unter den Sonnenschirmen ist es noch auszuhalten. Wir haben Zeit, die Liegestühle werden genutzt.

Nach ausgiebiger Pause geht es lange hinunter durch den tropisch anmutenden Flürentobel nach Wildhaus. Die Temperatur erreicht ihr Maximum, während wir auf den Postbus warten. Dann ziehen plötzlich bedrohlich graue Wolken auf. Vielleicht war unsere Wahl des Weges doch nicht die Schlechteste. In ungewohnt vollem Bus umrunden wir den Alpstein bis zur Schwägalp, wo wir uns mit viel Mühe gerade noch in den völlig überfüllten Bus von der Säntis-Seilbahn nach Urnäsch quetschen können. Der Bus hat einen Anhänger, der ebenfalls bis zum Bersten mit Passagieren gefüllt ist. Dies scheint wirklich eine der dichtbesiedelten, bestbesuchten Alpen-Regionen zu sein, wo sich alles um Kühe und Käse dreht.

Um 17:00 besteigen wir den gemieteten Mini-Bus und erreichen gegen 20:00 zu „vernünftigen“ Zeiten Rottenburg.

Insgesamt eine nicht alltägliche Tour, mit nicht alltäglichen Teilnehmern, hervorragend geleitet durch unseren Tourenführer Friedbert, der es verstand auf unsere Wünsche flexibel zu reagieren. Zudem musste er sich neben der Tourenorganisation auch noch um Anmietung des Autos kümmern und uns fahren. Ein großes Lob für Friedbert!


Termin: 28. – 30. Juli 2017
Organisation/Führung: Friedbert Widmann
Teilnehmer: Adelinde, Petra, Friedbert, Christopher, Michael, Gustav und Thomas
Bericht: Michael R.

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