Faszination Eisklettern

Vier Tage Grundkurs Eisklettern im Pitztal

Wen der Anblick von dick eingepackten Kletterern mit Eisgeräten und Steigeisen im weiß-blauen Eis fasziniert und den diese Faszination nicht loslässt – dann stellte sich beim Blick in das Winterprogramm des DAV Rottenburg 2016/17 die Frage:  Warum nicht es einfach mal selbst ausprobieren? 

Die Antworten könnten lauten: Weil es ein Sport ist, bei dem Stürze zu ernsthaften Verletzungen führen können. Weil gefrorene Wasserfälle kollabieren können. Weil es angesichts der globalen Erwärmung Unfug ist, eine neue Wintersportart anzufangen.

Doch die Antwort lautete: Wenn schon ein ernsthaftes Interesse an diesem Sport vorhanden ist, dann sollte man ihn auch richtig erlernen. Nicht nur die Technik und den Einsatz des Materials kennenlernen, sondern auch Kenntnisse bei der Beurteilung der Bedingungen erwerben. Und wo findet sich dafür eine bessere Gelegenheit als bei einem viertägigen DAV-Kurs im Pitztal?

Bereits im Vorfeld war der Kurs anspruchsvoll – die umfangreiche Ausrüstungsliste musste abgearbeitet werden. Eisklettern ist eine Materialschlacht. Hinzu kommt die Frage nach der richtigen Kleidung, denn es wird nass und kalt. Sehr kalt, denn während Skifahrer den sonnigen Hang hinuntergleiten, schlagen sich Eiskletterer mit Vorliebe im schattigsten Teil steiler Schluchten herum. Dort fühlt es sich laut Erfahrungswert sogar kälter an als auf dem Gipfel des Elbrus oder des Pik Kommunismus.

Der erste Kurstag begann mit der Anreise. Zum Aufwachen gab es einen Kaffee bei Sebastian, wo sich die Gruppe traf. Drei Teilnehmer und ein Fachübungsleiter passten inklusive Equipment zusammen in einen VW Passat.  Die kleine Gruppengröße versprach eine intensive Betreuung und ausgiebiges Klettern für alle. Während der gemeinsamen Anfahrt ins Pitztal wurde klar, dass die Gruppe gut harmoniert.

Ferse runter und man fällt nicht

Nach der Ankunft und dem Umziehen im Hotel zog es uns an unseren ersten gefrorenen Wasserfall, den Übungsfall in der gegenüber gelegenen Kitzgartenschlucht. Dort konnten wir mit dem Eis sozusagen warm werden. Vom Gehen mit Steigeisen, dem richtigen Einsatz der Frontzacken und dem Schlagen der Eisgeräte bauten die Lerninhalte klar strukturiert aufeinander auf. Die Lernkurve ging bei allen steil nach oben. Dem folgte der erste Kontakt mit dem Eisfall im Toprope. In zwei von Sebastian eingerichteten Routen konnten wir gut gesichert das Gelernte anwenden und die Bewegungsabläufe einüben.

Das breite Grinsen im Gesicht beim Abgelassen werden zeugte von der unmittelbar drohenden Suchtgefahr. Besonders an einem so herrlich sonnigen Tag, mit glitzerndem Eis und blauem Himmel. Erst bei einsetzender Dämmerung machten sich die vom Felsklettern abweichenden Bewegungsabläufe, die nassen Finger und die alles durchdringende Kälte bemerkbar.

Die Unterkunft war super, das Essen reichlich und gut, der Wellnessbereich richtig klasse für die beanspruchten und ausgekühlten Muskeln. Er überlebte erfreulicherweise auch unsere ausgiebigen Aufwärmbesuche.  Denn merke: Ein Eiskletterer ist stärker als ein Türscharnier, ein Dampfbad wird nicht einfach so zur finnischen Sauna und in den Pool geht’s eigentlich nur mit Kleidung. Auch die BlackRoll war stark frequentiert. Tiefenentspannt und gestärkt gab es zum Abschluss des Tages Schleif- und Knotenkunde. Bei kühlen Kaltgetränken führten wir fachliche Diskussionen, z. B. über die Vor- und Nachteile von Hardshellhosen. Es kursieren Gerüchte, wonach die eine oder andere Eisschraube absichtlich fiel, um für den Genuss hochprozentiger Annehmlichkeiten zu sorgen. Die zunächst nicht geplante Unterbringung in einem Vierbettzimmer brachte angenehmen Hütten-Charme mit sich. Gut, dass keiner der drei Herren laut schnarchte. Morgens brachte uns ein „integraler Bestandteil des Kletterns“ wieder auf Betriebstemperatur.

In der Taschachschlucht

Tag zwei führte uns in die Taschachschlucht, wo beim Eisschrauben setzen und klippen noch im Toprope die nächste Schwierigkeitsstufe erreicht wurde. Der Fall in der Mitte der Schlucht bot neben geneigten auch steilere Abschnitte. Hier konnten wir verschiedene Linien austesten und die Schwierigkeit je nach Bedarf anpassen. An Tag drei belegte Sebastian den Fall ganz links im hinteren Teil der Schlucht für uns (run to the hills/wall). Hier ging es schrittweise vom Toprope, über den noch nachgesicherten Vorstieg, zum ersten Vorstieg im steilen Eis. Was für ein erhebendes Gefühl!

Dank und Lob gehen hierfür an den Kursleiter – er vermittelte uns in kurzer Zeit fundiertes Wissen und gab in Situationen, in den sich der Kopf mit „Oh man, was mache ich hier eigentlich – ich hänge an einem Wasserfall!“ einschaltete die notwendige mentale Ruhe und Sicherheit. Wir lernten nicht nur, Eisschrauben zu setzen und Abalakov-Schlingen zu fädeln, sondern auch den Aufbau des Eises und die Witterungsbedingungen zu beurteilen. Man kann nie dieselbe Route ein zweites Mal klettern, das Eis ist immer im Wandel. Je nachdem, wie sich das Eis aufbaut, kann ein Wasserfall innerhalb kurzer Zeit ganz anders aussehen. Alle Sicherungen müssen selbst gelegt, besser gesagt geschraubt werden. Selbstverständlich sind wir nach vier Tagen Kurs keine Profis, doch an unserem dritten Übungstag zeigte uns der direkte Vergleich mit einem am Eisfall neben uns stattfindenden Ein-Tages-Eiskletter-Ausflug frappierend, wie weit wir in so kurzer Zeit gekommen sind. Die Abendnachrichten dämpften die Stimmung schlagartig – in Südtirol war ein Eisfall kollabiert und eine Gruppe erfahrener Eiskletterer zu Tode gekommen. Auf diese Lektion in alpinen Gefahren hätten wir gerne verzichtet.

Der krönende Abschluss

Als Abschluss stiegen unsere beiden Seilschaften am Sonntag in den Eisfall Obere Wiese (WI 3+) ein. In vier beziehungsweise fünf Seillängen schlossen wir das Wochenende mit der ersten Mehrseillänge erfolgreich ab. In Wechselführung übernahm jeder einmal die Verantwortung des Vorstiegs und des Standplatzbaus. Dabei konnte wegen überhöhtem Sicherheitsbedürfnis besonders die zweite Seilschaft das Ein- und Ausdrehen der Eisschrauben intensiv üben. Als auch der letzte Kletterer etwas entkräftet oben angekommen war, genossen wir kurz das befriedigende Gefühl, es geschafft zu haben. Ein Blick ins Tal und dann zügig abseilen, denn da alles etwas länger gedauert hatte, setzte die Dämmerung bereits ein. Der Abstieg über auch mal wegbrechende Gamstritte mit wenig Schneeauflage gehörte der Kategorie „interessant“ an. Als wir im Dunkeln zum Hotel zurück kamen, wurden wir von der Belegschaft für verrückt erklärt. Nach einer wohl verdienten Pizza machten wir uns auf den Heimweg, den statistisch gesehen gefährlichsten Teil des Wochenendes. Daher sei hier auch für die sichere Heimfahrt gedankt!

Fazit:

Es war ein tolles Wochenende, nicht zuletzt wegen der Gruppenkonstellation und weil das Pitztal so viel Eis bot wie laut Einheimischen seit Jahren nicht mehr.


Leiter: Sebastian Truffner
Teilnehmer: Marina M., Nico P. und Sebastian S.
Autorin: Marina M.

Ort:
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