Blümlisalphorn Überschreitung

Die Überschreitung des Blümlisalphorn

Welchem Hochtouristen leuchten beim Gedanken an die Traverse über die Gipfel von Morgenhorn, Weisser Frau und eben – dem Blümlisalphorn nicht die Augen? Am Ende einer durchwachsenen Hochtourensaison war uns noch dieser Firngrat Klassiker gegönnt!

Öschinensee mit Blümlisalporn, Öschinenhhorn und Fründenhorn
Öschinensee mit Blümlisalporn, Öschinenhhorn und Fründenhorn

Kurzfristig sollte das Ziel für das lange erste Oktober Wochenende ausgesucht werden. Im Herbst gar nicht so einfach, wenn man doch den Komfort einer bewarteten Hütte dem Charme eines Winterraums vorzieht, und es gleichzeitig eine anspruchsvolle Hochtour werden soll. Die Verhältnisse in der Blümlisalpgruppe sind gut, und die gleichnamige Hütte hat noch offen. Sollte die Überschreitung, die schon den ganzen Sommer auf meiner Tourenliste steht, nun doch noch am Ende der Saison klappen?

Bilder von Bernd

In die Vorfreude mischten sich anfangs noch Zweifel, denn die Hütte war voll und wir noch auf der Warteliste. Ausserdem hatte mir der bisherige Bergsommer bis dahin schon mehr als kräftig in die Tourensuppe gespuckt. Doch jegliche Skepsis wurde beseitigt, je näher das Wochenende rückte. Als dann Hermann die finale Zusage bekam, dass wir alle für beide Nächte ein Lager bekamen und auch der Wetterbericht für Samstag sehr gutes Wetter vorhersagte, stand einem schönen Tourenwochenende nichts mehr im Weg.

Noch während der Fahrt diskutierten wir darüber, ob wir von Kandersteg oder alternativ über das Kiental zur Blümlisalphütte aufsteigen sollten. Letztlich entschieden wir uns für den Aufstieg ab Kandersteg.

1600 Höhenmeter lagen vor uns als wir in Kandersteg am Parkplatz bei der Talstation der Gondelbahn Öschinensee in Richtung Hütte aufbrachen. Die Frage nach der Bahnbenutzung, die uns den Aufstieg um knapp 400Hm verkürzt hätte, war schnell geklärt – wir wollten die komplette Tour by fair means gehen. Das sollte die offizielle Begründung sein, in Wahrheit waren, abgesehen von Jan, halt Schwaben unterwegs. Oder es war einfach eine Mischung aus beidem.

Bilder von Hermann

Schnell erreichten wir den Öschinensee, der zum Unesco Weltnaturerbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch gehört. Jochen zeigte uns, wie der See durch einen Bergrutsch einer Flanke des Doldenhorns entstand, welcher den Wasserabfluss blockierte. Wir wanderten entlang der Nordseite des Sees vorbei an steilen und teils überhängenden Felswänden und genossen sowohl den landschaftlich wunderschönen Pfad als auch die grandiose Aussicht auf die über dem See aufragenden Gipfel von Doldenhorn, Fründenhorn oder Blümlisalphorn. An der Oberbärgli-Alm hatten wir etwa die Hälfte des Aufstiegs hinter uns, so daß wir uns eine Einkehr auf der urigen Alm verdient hatten. Weiter führte uns der Weg auf die Randmoräne des hier unten nicht mehr existierenden Blümlisalpgletschers und dann immer weiter hinauf direkt auf der Moränenschneide bis in die Flanke, die zum Hohtürli führt. Von diesem Sattel aus, wo sich der Aufstieg von Kandersteg und der aus dem Kiental treffen, erreichten wir die Hütte in zehn Minuten. Nach dem sehr guten und reichlichen Abendessen unterhielten wir uns mit dem Hüttenchef noch kurz über die Tour, da die Überschreitung laut Hüttenbuch in den Tagen zuvor nahezu nicht begangen wurde. Aber eine Spur müsste vorhanden und die Verhältnisse erwartungsgemäss gut sein. Frühstück gab es um fünf; ein früherer Aufbruch hätte wegen des doch mittlerweile späten Tagesanbruchs keinen Sinn gemacht.

Panoramabild --- Blick-vom-Grat-Richtung-Bietschhorn
Panoramabild — Blick-vom-Grat-Richtung-Bietschhorn

Bild von Jan

Also starteten wir um 5:45 Uhr in Richtung Blümlisalpgletscher. Mit uns waren noch drei weitere Seilschaften unterwegs, allerdings nur eine mit dem selben Ziel. Unter der Wilden Frau vorbei über den Gletscher erreichten wir die Mulde unter Morgenhorn und Weisser Frau. Von dort stiegen wir durch die aufsteilende Flanke immer rechts des NW-Grats in Richtung Gipfel, den wir um etwa 8:20 Uhr erreichten. Vor uns breitete sich das volle Ausmass dessen aus, was wir in den kommenden Stunden geniessen durften. Ein scharfer und in seiner Ausgesetztheit perfekter Firngrat zeichnete sich gegen den Morgenhimmel ab, eigentlich vergnügungssteuer-pflichtig. Der Grat war nur wenig überwechtet, so dass wir meist direkt an der Gratschneide gehen konnten. Ein wenig Moral, auf alle Fälle aber Konzentration war notwendig, bricht doch die Südseite tausend Meter bis auf das Becken des Kanderfirns ab, während die gegenüberliegende Seite die 60 Grad steile Nordflanke bildet. Etwa eine Stunde später standen wir auf dem Gipfel der Weissen Frau. Dort legten wir eine erste längere Pause ein, bevor wir den zweiten Teil des Grats in Angriff nahmen. Diese Passage sei mit wenigen Sätzen aus dem DAV Panorama von April 2010 mehr als treffend beschrieben: „Im Wellenschlag des Himmels: Drei Gipfel zählt die Blümlisalpgruppe, verbunden durch einen legendären Firngrat, der in anregendem Auf und Ab zwischen Wallis und Mittelland dahinzieht.“ Verführerische Ausblicke auf die umliegenden Gipfel von Eiger, Mönch, Jungfrau, Aletschhorn und Bietschhorn, um nur einige aufzuzählen, versuchten uns permanent davon abzubringen, dass wir uns doch eigentlich auf die schmale Spur im steilen Firn konzentrieren sollten. Zu allem Überfluss gaben die Wolken auch noch die grossen Walliser frei. Viertel nach zwölf war dem Geniessen ein jähes Ende gesetzt – wir erreichten den Gipfel des Blümlisalphorns.

Bilder von Jochen

Der Abstieg über den Normalweg des Blümlisalphorns bot zu Beginn einen fantastischen Tiefblick auf den 2000 Meter unter uns liegenden Öschinensee. Nach dem entspannten Abstieg im ersten Firnteil forderte uns der zweite Teil hinunter bis zum Rothornsattel noch einmal mehr ab. Durch brüchigen Fels suchten wir erst noch die Firnadern, um mit Steigeisen einigermassen komfortabel absteigen zu können. Irgendwann entschieden wir uns dann doch, die Steigeisen auszuziehen, um sicher im Fels abklettern zu können. Notfalls hätten wir uns auch an den reichlich vorhandenen Stangen abseilen können, nahmen aber diese Möglichkeit nicht wahr. Vom Rothornsattel stiegen wir hinab auf den Blümlisalgletscher, vorbei an mächtigen Seracs und steuerten den Durchschlupf zum östlichen Teil des Gletschers an. Von dort war es nicht mehr weit zur Aufstiegsspur, die uns in kurzer Zeit wieder zurück zur Hütte führte. Nach zehn Stunden von Hütte zu Hütte ging ein herrlicher Tourentag zu Ende.

Über Nacht brachte eine kleine Störung etwas Schnee, so dass die ersten Meter von der Hütte hinunter zum Hohtürli zu einer kleinen Rutschpartie wurde. Statt eines direkten Abstiegs deponierten wir die Rucksäcke gleich unterhalb des Hohtürli am Weg und bogen auf Jochens Drängen in Richtung Schwarzhorn ab. Dass es ein mehr als lohnender Abstecher werden sollte, stellte sich schon auf dem Weg zum Gipfel  heraus, als wir einer Gruppe von Steinböcken begegneten. So eindrucksvoll und nah hatte ich diese Tiere noch nicht beobachten dürfen. Erst als wir näher als etwa zehn Meter kamen gaben die Steinböcke den Weg frei. Nach ca. 20 Minuten erreichten wir den Gipfel des 2786m hohen Schwarzhorns. Die Aussicht von dort oben war unbeschreiblich – Thuner See und Alpenvorland auf der einen, Eiger, Mönch, Jungfrau sowie die Gipfel, auf denen wir am Tag zuvor gestanden hatten, auf der anderen Seite.

Bider von Jürgen

Der weitere Abstieg führte uns wieder zur Oberbärgli-Alm, bei der eine Einkehr bei herrlichem Herbstwetter fast schon obligatorisch war. Nebenbei tauschten wir unsere letzten Fränkli in leckeren Almkäse, um so auch die traditionelle Schweizer Almwirtschaft zu unterstützen. Ab dem Oberbärgli nahmen wir einen weiter oben gelegenen Weg um den Öschinensee herum. Ist der Abstieg ins Tal oft genug eine Schinderei, konnten wir diese Wanderung einfach nur geniessen. Landschaftlich eindrucksvoll zog der Weg nur mit moderatem Höhenverlust am See vorbei bis zur Bergstation der Öschinenbahn. Von dort waren es noch 500Hm hinunter bis zum Parkplatz, von dem aus wir zwei Tage zuvor aufgebrochen waren.

Fazit: Eine rundum gelungene Sektionstour, nicht nur wegen der Überschreitung der Blümlisalpgruppe, sondern auch aufgrund des überaus lohnenden Hüttenzu- und abstiegs.

Autor: Jürgen Schäfer
Tourenleiter: Hermann Elsenhans
Termin: Steigeisen-Hengetse 3. bis 5. Oktober 2014

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